Kalevala

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Des Hohen Lied

  1. Der Ausgänge halber bevor du eingehst
    Stelle dich sicher,
    Denn ungewiß ist, wo Widersacher
    Im Hause halten.
  2. Heil dem Geber! Der Gast ist gekommen:
    Wo soll er sitzen?
    Atemlos ist, der unterwegs
    Sein Geschäft besorgen soll.
  3. Wärme wünscht der vom Wege kommt
    Mit erkaltetem Knie;
    Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,
    Der über Felsen fuhr.
  4. Wasser bedarf, der Bewirtung sucht,
    Ein Handtuch und holde Nötigung.
    Mit guter Begegnung erlangt man vom Gaste
    Wort und Wiedervergeltung.
  5. Witz bedarf man auf weiter Reise;
    Daheim hat man Nachsicht.
    Zum Augengespött wird der Unwissende,
    Der bei Sinnigen sitzt.
  6. Doch steife sich niemand auf seinen Verstand,
    Acht hab er immer.
    Wer klug und wortkarg zum Wirte kommt
    Schadet sich selten:
    Denn festern Freund als kluge Vorsicht
    Mag der Mann nicht haben.
  7. Vorsichtiger Mann, der zum Mahle kommt,
    Schweigt lauschend still.
    Mit Ohren horcht er, mit Augen späht er
    Und forscht zuvor verständig.
  8. Selig ist, der sich erwirbt
    Lob und guten Leumund.
    Unser Eigentum ist doch ungewiß
    In des andern Brust.
  9. Selig ist, wer selbst sich mag
    Im Leben löblich raten,
    Denn übler Rat wird oft dem Mann
    Aus des andern Brust.
  10. Nicht beßre Bürde bringt man auf Reisen
    Als Wissen und Weisheit.
    So frommt das Gold in der Fremde nicht,
    In der Not ist nichts so nütze.
  11. Nicht üblern Begleiter gibt es auf Reisen
    Als Betrunkenheit ist,
    Und nicht so gut als mancher glaubt
    Ist Ael den Erdensöhnen,
    Denn um so minder je mehr man trinkt
    Hat man seiner Sinne Macht.
  12. Der Vergessenheit Reiher überrauscht Gelage
    Und stiehlt die Besinnung.
    Des Vogels Gefieder befing auch mich
    In Gunnlöds Haus und Gehege.
  13. Trunken ward ich und übertrunken
    In des schlauen Fialars Felsen.
    Trunk mag taugen, wenn man ungetrübt
    Sich den Sinn bewahrt.
  14. Schweigsam und vorsichtig sei des Fürsten Sohn
    Und kühn im Kampf.
    Heiter und wohlgemut erweise sich jeder
    Bis z.um Todestag.
  15. Der unwerte Mann meint ewig zu leben,
    Wenn er vor Gefechten flieht.
    Das Alter gönnt ihm doch endlich nicht Frieden.
    Obwohl der Speer ihn spart.
  16. Der Tölpel glotzt, wenn er zum Gastmahl kommt, Murmelnd sitzt er und mault.
    Hat er sein Teil getrunken hernach,
    So sieht man welchen Sinns er ist.
  17. Der weiß allein, der weit gereist ist,
    Und vieles hat erfahren,
    Welches Witzes jeglicher waltet,
    Wofern ihm selbst der Sinn nicht fehlt.
  18. Lange zum Becher nur, doch leer ihn mit Maß,
    Sprich gut oder schweig.
    Niemand wird es ein Laster nennen,
    Wenn du früh zur Ruhe fährst.
  19. Der gierige Schlemmer, vergißt er der Tischzucht,
    Schlingt sich schwere Krankheit an;
    Oft wirkt Verspottung, wenn er zu Weisen kommt,
    Törichtem Mann sein Magen.
  20. Selbst Herden wissen, wann zur Heimkehr Zeit ist
    Und gehn vom Grase willig;
    Der Unkluge kennt allein nicht
    Seines Magens Maß.
  21. Der Armselige, Übelgesinnte
    Hohnlacht über alles
    Und weiß doch selbst nicht was er wissen sollte,
    Daß er nicht fehlerfrei ist.
  22. Unweiser Mann durchwacht die Nächte
    Und sorgt um alle Sachen;
    Matt nur ist er, wenn der Morgen kommt,
    Der Jammer wahrt wie er war.
  23. Ein unkluger Mann meint sich alle hold,
    Die ihn lieblich anlachen.
    Er versieht es sich nicht, wenn sie Schlimmes von ihm reden
    So er zu Klügern kommt.
  24. Ein unkluger Mann meint'sich alle hold,
    Die ihm kein Widerwort geben;
    Kommt er vor Gericht, so erkennt er bald,
    Daß er wenig Anwälte hat.
  25. Ein unkluger Mann meint, alles zu können,
    Wenn er sich einmal zu wahren wußte.
    Doch wenig weiß er was er antworten soll,
    Wenn er mit Schwerem versucht wird.
  26. Ein unkluger Mann, der zu andern kommt,
    Schweigt am besten still.
    Niemand bemerkt, daß er nichts versteht,
    So lang er zu sprechen scheut.
    Nur freilich weiß wer wenig weiß
    Auch das nicht, wann er schweigen soll.
  27. Weise dünkt sich schon wer zu fragen weiß
    Und zu sagen versteht;
    Doch Unwissenheit mag kein Mensch verbergen,
    Der mit Leuten leben muß.
  28. Der schwatzt zuviel, der nimmer geschweigt
    Eitel unnützer Worte.
    Die zappelnde Zunge, die kein Zaum verhält,
    Ergellt sich selten Gutes.
  29. Mach nicht zum Spott der Augen den Mann,
    Der vertrauend Schutz will suchen.
    Klug dünkt sich leicht, der von keinem befragt wird
    Und mit heiler Haut daheim sitzt.
  30. Klug dünkt sich gern, wer Gast den Gast
    Verhöhnend, Heil in der Flucht sucht.
    Oft merkt zu spät, der beim Mahle Hohn sprach,
    Wie grämlichen Feind er ergrimmte.
  31. Zu oft geschiehts, daß sonst nicht Verfeindete
    Sich als Tischgesellen schrauben.
    Dieses Aufziehn wird ewig währen:
    Der Gast grollt dem Gaste.
  32. Bei Zeiten nehme den Imbiß zu sich,
    Der nicht zu gutem Freunde fährt.
    Sonst sitzt er und schnappt und will verschmachten
    Und hat zum Reden nicht Ruhe.
  33. Ein Umweg ist's zum untreuen Freunde,
    Wohnt er gleich am Wege;
    Zum trauten Freunde führt ein Richtsteig
    Wie weit der Weg sich wende.
  34. Zu gehen schickt sich, nicht zu gasten stets
    An derselben Statt.
    Der Liebe wird leid, der lange weilt
    In des andern Haus.
  35. Eigen Haus, ob eng, geht vor,
    Daheim bist du Herr,
    Zwei Ziegen nur und dazu ein Strohdach
    Ist besser als Betteln.
  36. Eigen Haus, ob eng, geht vor,
    Daheim bist du Herr.
    Das Herz blutet jedem, der erbitten muß
    Sein Mahl alle Mittag.
  37. Von seinen Waffen weiche niemand
    Einen Schritt im freien Feld:
    Niemand weiß unterwegs, wie bald
    Er seines Speers bedarf.
  38. Nie fand ich so milden und kostfreien Mann,
    Der nicht gerne Gab empfing,
    Mit seinem Gute so freigebig keinen,
    Dem Lohn wär leid gewesen.
  39. Des Vermögens, das der Mann erwarb,
    Soll er sich selbst nicht Abbruch tun:
    Oft spart man dem Leiden was man dem Lieben bestimmt;
    Viel fügt sich schlimmer als man denkt.
  40. Freunde sollen mit Waffen und Gewändern sich erfreun,
    Den schönsten, die sie besitzen:
    Gab und Gegengabe begründet Freundschaft,
    Wenn sonst nichts entgegen steht.
  41. Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren
    Und Gabe gelten mit Gabe.
    Hohn mit Hohn soll der Held erwidern,
    Und Losheit mit Lüge.
  42. Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren,
    Ihm selbst und seinen Freunden.
    Aber des Feindes Freunde soll niemand
    Sich gewogen erweisen.
  43. Weißt du den Freund, dem du wohl vertraust
    Und erhoffst du Holdes von ihm,
    So tausche Gesinnung und Geschenke mit ihm,
    Und suche manchmal sein Haus heim.
  44. Weißt du den Mann, dem du wenig vertraust
    Und erhoffst doch Holdes von ihm,
    Sei fromm in Worten und falsch im Denken
    Und zahle Losheit mit Lüge.
  45. Weißt du dir wen, dem du wenig vertraust,
    Weil dich sein Sinn verdächtig dünkt,
    Den magst du anlachen, und an dich halten:
    Die Vergeltung gleiche der Gabe.
  46. Jung war ich einst, da ging ich einsam
    Verlaßne Wege wandern.
    Doch fühlt ich mich reich, wenn ich andere fand:
    Der Mann ist des Mannes Lust.
  47. Der milde, mutige Mann ist am glücklichsten,
    Den selten Sorge beschleicht;
    Doch der Verzagte zittert vor allem
    Und kargt verkümmernd mit Gaben.
  48. Mein Gewand gab ich im Walde
    Moosmännern zweien.
    Bekleidet dauchten sie Kämpen sich gleich,
    Während Hohn den Nackten neckt.
  49. Der Dornbusch dorrt, der im Dorfe steht,
    Ihm bleibt nicht Blatt noch Borke.
    So geht es dem Mann, den niemand mag:
    Was soll er länger leben?
  50. Heißer brennt als Feuer der Bösen
    Freundschaft fünf Tage lang;
    Doch sicher am sechsten ist sie erstickt
    Und alle Lieb erloschen.
  51. Die Gabe muß nicht immer groß sein:
    Oft erwirbt man mit wenigem Lob.
    Ein halbes Brot, eine Neig im Becher
    Gewann mir wohl den Gesellen.
  52. Wie Körner im Sand klein an Verstand
    Ist kleiner Seelen Sinn.
    Ungleich ist der Menschen Einsicht,
    Zwei Hälften hat die Welt.
  53. Der Mann muß mäßig weise sein,
    Doch nicht allzuweise.
    Das schönste Leben ist dem beschieden,
    Der recht weiß, was er weiß.
  54. Der Mann muß mäßig weise sein,
    Doch nicht allzuweise.
    Des Weisen Herz erheitert sich selten
    Wenn er zu weise wird.
  55. Der Mann muß mäßig weise sein,
    Doch nicht allzuweise.
    Sein Schicksal kenne keiner voraus,
    So bleibt der Sinn ihm sorgenfrei.
  56. Brand entbrennt an Brand, bis er zu Ende brennt,
    Flamme belebt sich an Flamme.
    Der Mann wird durch den Mann der Rede mächtig
    Im Verborgnen bleibt er blöde.
  57. Früh aufstehen soll, wer den andern sinnt
    Um Haupt und Habe zu bringen:
    Dem schlummernden Wolf glückt selten ein Fang,
    Noch schlafendem Mann ein Sieg.
  58. Früh aufstehen soll, wer wenig Arbeiter hat,
    Und schaun nach seinem Werke.
    Manches versäumt, wer den Morgen verschläft:
    Dem Raschen gehört der Reichtum halb.
  59. Dürrer Scheite und deckender Schindeln
    Weiß der Mann das Maß,
    Und all des Holzes, womit er ausreicht
    Während der Jahreswende.
  60. Rein und gesättigt reit zur Versammlung
    Um schönes Kleid unbekümmert.
    Der Schuh und der Hosen schäme sich niemand,
    Noch des Hengstes, hat er nicht guten.
  61. Zu sagen und zu fragen verstehe jeder,
    Der nicht dumm will dünken.
    Nur einem vertrau er, nicht auch dem andern,
    Wissens dreie, so weiß es die Welt.
  62. Verlangend lechzt, eh er landen mag
    Der Aar auf der ewigen See.
    So geht es dem Mann in der Menge des Volks,
    Der keinen Anwalt antrifft.
  63. Der Macht muß der Mann, wenn er klug ist,
    Sich mit Bedacht bedienen,
    Denn bald wird er finden, wenn er sich Feinde macht,
    Daß dem Starken ein Stärkerer lebt.
  64. Umsichtig und verschwiegen sei ein jeder
    Und im Zutraun zaghaft.
    Worte, die andern anvertraut wurden,
    Büßt man oft bitter.
  65. An manchen Ort kam ich allzufrüh;
    Allzuspät an andern.
    Bald war getrunken das Bier, bald zu frisch;
    Unlieber kommt immer zur Unzeit.
  66. Hier und dort hätte mir Labung gewinkt,
    Wenn ich des bedurfte.
    Zwei Schinken noch hingen in des Freundes Halle,
    Wo ich einen schon geschmaust.
  67. Feuer ist das Beste dem Erdgebornen,
    Und der Sonne Schein;
    Nur sei Gesundheit ihm nicht versagt
    Und lasterlos zu leben.
  68. Ganz unglücklich ist niemand, ist er gleich nicht gesund:
    Einer hat an Söhnen Segen,
    Einer an Freunden, einer an vielem Gut,
    Einer an trefflichem Tun.
  69. Leben ist besser, auch Leben in Armut:
    Der Lebende kommt noch zur Ruh.
    Feuer sah ich des Reichen Reichtümer fressen,
    Und der Tod stand vor der Tür.
  70. Der Hinkende reite, der Handlose hüte,
    Der Taube taugt noch zur Tapferkeit.
    Blind sein ist besser als verbrannt werden:
    Der Tote nützt zu nichts mehr.
  71. Ein Sohn ist besser, ob spät geboren
    Nach des Vaters Hinfahrt.
    Gedenksteine stehn am Wege selten,
    Wenn sie der Freund dem Freund nicht setzt.
  72. Zweie gehören zusammen und doch schlägt die Zunge
    das Haupt.
    Unter jedem Gewand erwart ich eine Faust.
  73. Der Nacht freut sich wer des Vorrats gewiß ist,
    Doch herb ist die Herbstnacht.
    Fünfmal wechselt oft das Wetter am Tag:
    Wie viel mehr im Monat!
  74. Wer wenig weiß, der weiß auch nicht,
    Daß einen oft der Reichtum äfft;
    Einer ist reich, ein andrer arm:
    Den soll niemand narren.
  75. Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,
    Endlich stirbt man selbst;
    Doch nimmer mag ihm der Nachruhm sterben,
    Welcher sich guten gewann.
  76. Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,
    Endlich stirbt man selbst;
    Doch eines weiß ich, daß immer bleibt:
    Das Urteil über den Toten.
  77. Volle Speicher sah ich bei Fettlings Sprossen,
    Die heuer am Hungertuch nagen:
    Überfluß währt einen Augenblick,
    Dann flieht er, der falscheste Freund.
  78. Der alberne Geck, gewinnt er etwa
    Gut oder Gunst der Frauen,
    Gleich schwillt ihm der Kamm, doch die Klugheit nicht;
    Nur im Hochmut nimmt er zu.
  79. Was wirst du finden befragst du die Runen,
    Die hochheiligen,
    Welche Götter schufen, Hohepriester schrieben?
    Daß nichts besser sei als Schweigen.
  80. Den Tag lob abends, die Frau im Tode,
    Das Schwert, wenn's versucht ist,
    Die Braut nach der Hochzeit, eh es bricht, das Eis,
    Das Ael, wenn's getrunken ist.
  81. Im Sturm fällt den Baum, stich bei Fahrwind in See,
    Mit der Maid spiel im Dunkeln: manch Auge hat der Tag.
    Das Schiff ist zum Segeln, der Schild zum Decken gut,
    Die Klinge zum Hiebe, zum Küssen das Mädchen.
  82. Trink Ael am Feuer, auf Eis lauf Schrittschuh,
    Kauf mager das Roß, und rostig das Schwert,
    Zieh den Hengst daheim, den Hund im Vorwerk.
  83. Mädchenreden vertraue kein Mann,
    Noch der Weiber Worten.
    Auf geschwungnem Rad geschaffen ward ihr Herz,
    Trug in der Brust verborgen.
  84. Krachendem Bogen, knisternder Flamme,
    Schnappendem Wolf, geschwätziger Krähe,
    Grunzender Bache, wurzellosem Baum,
    Schwellender Meerflut, sprudelndem Kessel;
  85. Fliegendem Pfeil, fallender See,
    Einnächtgem Eis, geringelter Natter,
    Bettreden der Braut, brüchigem Schwert,
    Kosendem Bären und Königskinde;
  86. Siechem Kalb, gefälligem Knecht,
    Wahrsagendem Weib, auf der Walstatt Besiegtem,
    Heiterm Himmel, lachendem Herrn,
    Hinkendem Köter und Trauerkleidern;
  87. Dem Mörder deines Bruders, wie breit wär die Straße,
    Halbverbranntem Haus, windschnellem Hengst,
    (Bricht ihm ein Bein, so ist er unbrauchbar):
    Dem allen soll niemand voreilig trauen.
  88. Frühbesätem Feld trau nicht zu viel,
    Noch altklugem Kind.
    Wetter braucht die Saat und Witz das Kind:
    Das sind zwei zweiflige Dinge.
  89. Die Liebe der Frau, die falschen Sinn hegt,
    Gleicht unbeschlagnem Roß auf schlüpfrigem Eis,
    Mutwillig, zweijährig, und übel gezähmt;
    Oder steuerlosem Schiff auf stürmender Flut,
    Der Gemsjagd des Lahmen auf glatter Bergwand.
  90. Offen bekenn ich, der beide wohl kenne,
    Der Mann ist dem Weibe wandelbar;
    Wir reden am schönsten, wenn wir am schlechtesten denken
    So wird die Klügste geködert.
  91. Schmeichelnd soll reden und Geschenke bieten
    Wer des Mädchens Minne will,
    Den Liebreiz loben der leuchtenden Jungfrau:
    So fängt sie der Freier.
  92. Der Liebe verwundern soll sich kein Weiser
    An dem andern Mann.
    Oft fesselt den Klugen was den Toren nicht fängt,
    Liebreizender Leib.
  93. Unklugheit wundre keinen am andern,
    Denn viele befällt sie.
    Weise zu Tröpfen wandelt auf Erden
    Der Minne Macht.
  94. Das Gemüt weiß allein, das dem Herzen innewohnt
    Und seine Neigung verschließt,
    Daß ärger Übel den Edlen nicht quälen mag
    Als Liebesleid.
  95. Selbst erfuhr ich das, als ich im Schilfe saß
    Und meiner Holden harrte.
    Herz und Seele war mir die süße Maid;
    Gleichwohl erwarb ich sie nicht.
  96. Ich fand Billungs Maid auf ihrem Bette,
    Weiß wie die Sonne, schlafend.
    Aller Fürsten Freude fühlt ich nichtig,
    Sollt ich ihrer länger ledig leben.
  97. "Am Abend sollst du, Odin, kommen,
    Wenn du die Maid gewinnen willst.
    Nicht ziemt es sich, daß mehr als Zwei
    Von solcher Sünde wissen."
  98. Ich wandte mich weg Erwidrung hoffend,
    Ob noch der Neigung ungewiß;
    Jedoch dacht ich, ich dürft erringen
    Ihre Gunst und Liebesglück.
  99. So kehrt ich wieder: da war zum Kampf
    Strenge Schutzwehr auferweckt,
    Mit brennenden Lichtern, mit lodernden Scheitern
    Mir der Weg verwehrt zur Lust.
  100. Am folgenden Morgen fand ich mich wieder ein,
    Da schlief im Saal das Gesind;
    Ein Hündlein sah ich statt der herrlichen Maid
    An das Bett gebunden.
  101. Manche schöne Maid, wer's merken will,
    Ist dem Freier falsch gesinnt.
    Das erkannt ich klar, als ich das kluge Weib
    Verlocken wollte zu Lüsten.
    Jegliche Schmach tat die Schlaue mir an
    Und wenig ward mir des Weibes.
  102. Munter sei der Hausherr und heiter bei Gästen
    Nach geselliger Sitte,
    Besonnen und gesprächig: so schein er verständig,
    Und rate stets zum Rechten.
  103. Der wenig zu sagen weiß, wird ein Erztropf genannt,
    Es ist des Albernen Art.
  104. Den alten Riesen besucht ich, nun bin ich zurück:
    Mit Schweigen erwarb ich da wenig.
    Manch Wort sprach ich zu meinem Gewinn
    In Suttungs Saal.
  105. Gunnlöd schenkte mir auf goldnem Sessel
    Einen Trunk des teuern Mets.
    Übel vergolten hab ich gleichwohl
    Ihrem heiligen Herzen,
    Ihrer glühenden Gunst.
  106. Ratamund ließ ich den Weg mir räumen
    Und den Berg durchbohren;
    In der Mitte schritt ich zwischen Riesensteigen
    Und hielt mein Haupt der Gefahr hin.
  107. Schlauer Verwandlungen Frucht erwarb ich,
    Wenig mißlingt dem Listigen.
    Denn Odhrörir ist aufgestiegen
    Zur weitbewohnten Erde.
  108. Zweifel heg ich, ob ich heim wär gekehrt
    Aus der Riesen Reich,
    Wenn mir Gunnlöd nicht half, die herzige Maid,
    Die den Arm um mich schlang.
  109. Die Eisriesen eilten des andern Tags
    Des Hohen Rat zu hören
    In des Hohen Halle.
    Sie fragten nach Bölwerk ob er heimgefahren sei
    Oder ob er durch Suttung fiel.
  110. Den Ringeid, sagt man, hat Odin geschworen:
    Wer traut noch seiner Treue?
    Den Suttung beraubt er mit Ränken des Mets
    Und ließ sich Gunnlöd grämen.

Loddfafnir's-Lied

  1. Zeit ist's zu reden vom Rednerstuhl.
    An dem Brunnen Urdas
    Saß ich und schwieg, saß ich und dachte
    Und merkte der Männer Reden.
  2. Von Runen hört ich reden und vom Ritzen der Schrift
    Und vernahm auch nütze Lehren.
    Bei des Hohen Halle, in des Hohen Halle
    Hört ich sagen so:
  3. Dies rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Steh nachts nicht auf, wenn die Not nicht drängt,
    Du wärst denn zum Wächter geordnet.
  4. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    ln der Zauberfrau Schoß schlaf du nicht,
    So daß ihre Glieder dich gürten.
  5. Sie betört dich so, du entsinnst dich nicht mehr
    Des Gerichts und der Rede der Fürsten,
    Gedenkst nicht des Mahls noch männlicher Freuden,
    Sorgenvoll suchst du dein Lager.
  6. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Des andern Frau verführe du nicht.
    Zu heimlicher Zwiesprach.
  7. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Über Furten und Felsen so du zu fahren hast,
    So sorge für reichliche Speise.
  8. Dem übeln Mann eröffne nicht
    Was dir Widriges widerfährt:
    Von argem Mann erntest du nimmer doch
    So guten Vertrauns Vergeltung.
  9. Verderben stiften einem Degen sah ich
    Übeln Weibes Wort:
    Die giftige Zunge gab ihm den Tod,
    Nicht seine Schuld.
  10. Gewannst du den Freund, dem du wohl vertraust,
    So besuch ihn nicht selten,
    Denn Strauchwerk grünt und hohes Gras
    Auf dem Weg, den niemand wandelt.
  11. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Guten Freund gewinne dir zu erfreuender Zwiesprach;
    Heilspruch lerne so lange du lebst.
  12. Altem Freunde sollst du der erste
    Den Bund nicht brechen.
    Das Herz frißt dir Sorge, magst du keinem mehr
    Deine Gedanken all.
  13. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Mit ungesalznem Narren sollst du
    Nicht Worte wechseln.
  14. Von albernem Mann magst du niemals
    Guten Lohn erlangen.
    Nur der Wackere mag dir erwerben
    Guten Leumund durch sein Lob.
  15. Das ist Seelentausch, sagt einer getreulich
    Dem andern alles, was er denkt.
    Nichts ist übler als unstet sein:
    Der ist kein Freund,
    der zu Gefallen spricht.
  16. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Drei Worte nicht sollst du mit dem Schlechten wechseln:
    Oft unterliegt der Gute,
    Der mit dem Schlechten streitet.
  17. Schuhe nicht sollst du noch Schäfte machen
    Für andre als für dich:
    Sitzt der Schuh nicht, ist krumm der Schaft,
    Wünscht man dir alles Übel.
  18. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Wo Not du findest, deren nimm dich an;
    doch gib dem Feind nicht Frieden.
  19. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Dich soll andrer Unglück nicht freuen;
    Ihren Vorteil laß dir gefallen.
  20. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Nicht aufschaun sollst du im Schlachtgetöse:
    Ebern ähnlich wurden oft Erdenkinder;
    So aber zwingt dich kein Zauber.
  21. Willst du ein gutes Weib zu deinem Willen bereden
    Und Freude bei ihr finden,
    So verheiß ihr Holdes und halt es treulich:
    Des Guten wird die Maid nicht müde.
  22. Sei vorsichtig, doch sei's nicht allzusehr,
    Am meisten sei's beim Met
    Und bei des andern Weib; auch wahre dich
    Zum dritten vor der Diebe List.
  23. Mit Schimpf und Hohn verspotte nicht
    Den Fremden noch den Fahrenden.
    Selten weiß, der zu Hause sitzt
    Wie edel ist, der einkehrt.
  24. Laster und Tugenden liegen den Menschen
    In der Brust beieinander.
    Kein Mensch ist so gut, daß nichts ihm mangle,
    Noch so böse, daß er zu nichts nütze.
  25. Haarlosen Redner verhöhne nicht:
    Oft ist gut was der Greis spricht.
    Aus welker Haut kommt oft weiser Rat;
    Hängt ihm die Hülle gleich,
    Schinden ihn auch Schrammen,
    Der unter Wichten wankt.
  26. Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst.
    Den Wandrer fahr nicht an, noch weis ihm die Tür:
    Gib dem Gehenden gern.
  27. Stark wär der Riegel, der sich rücken sollte
    Allen aufzutun.
    Gib einen Scherf; dies Geschlecht sonst wünscht
    Dir alles Unheil an.
  28. Dies rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
    Wohl dir, wenn du sie merkst:
    Wo Ael getrunken wird, ruf die Erdkraft an:
    Erde trinkt und wird nicht trunken.
    Feuer hebt Krankheit, Eiche Verhärtung,
    Ähre Vergiftung,
    Der Hausgeist häuslichen Hader.
    Mond mindert Tobsucht,
    Hundsbiß heilt Hundshaar,
    Rune Beredung;
    Die Erde nehme Naß auf.

Odins Runenlied

  1. Ich weiß, daß ich hing am windigen Baum
    Neun lange Nächte,
    Vom Speer verwundet, dem Odin geweiht,
    Mir selber ich selbst,
    Am Ast des Baums, dem man nicht ansehn kann
    Aus welcher Wurzel er sproß.
  2. Sie boten mir nicht Brot noch Met;
    Da neigt ich mich nieder
    Auf Runen sinnend, lernte sie seufzend:
    Endlich fiel ich zur Erde.
  3. Hauptlieder neun lernt ich von dem weisen Sohn
    Bölthorns, des Vaters Bestlas,
    Und trank einen Trunk des teuern Mets
    Aus Odhrörir geschöpft.
  4. Zu gedeihen begann ich und begann zu denken,
    Wuchs und fühlte mich wohl.
    Wort aus dem Wort verlieh mir das Wort,
    Werk aus dem Werk verlieh mir das Werk.
  5. Runen wirst du finden und Ratstäbe,
    Sehr starke Stäbe,
    Sehr mächtige Stäbe.
    Erzredner ersann sie, Götter schufen sie,
    Sie ritzte der hehrste der Herrscher.
  6. Odin den Riesen, den Alfen Dain,
    Dwalin den Zwergen,
    Alswid aber den Riesen; einige schnitt ich selbst.
  7. Weißt du zu ritzen? Weißt du zu erraten?
    Weißt du zu finden? Weißt zu erforschen?
    Weißt du zu bitten? Weißt Opfer zu bieten?
    Weißt du wie man senden, weißt wie man tilgen soll?
  8. Besser nicht gebeten, als zu viel geboten:
    Die Gabe will stets Vergeltung.
    Besser nichts gesendet, als zu viel getilgt;
    So ritzt es Thundr zur Richtschnur den Völkern.
    Dahin entwich er, von wannen er ausging.

Liederverzaichnis

  1. Lieder kenn ich, die kann die Königin nicht
    Und keines Menschen Kind.
    Hilfe verheißt mir eins, denn helfen mag es
    In Streiten und Zwisten und in allen Sorgen.
  2. Ein andres weiß ich, des alle bedürfen,
    Die heilkundig heißen.
  3. Ein drittes weiß ich, des ich bedarf
    Meine Feinde zu fesseln.
    Die Spitze stumpf ich dem Widersacher;
    Mich verwunden nicht Waffen noch Listen.
  4. Ein viertes weiß ich, wenn der Feind mir schlägt
    In Bande die Bogen der Glieder,
    So bald ich es singe, so bin ich ledig,
    Von den Füßen fällt mir die Fessel,
    Der Haft von den Händen.
  5. Ein fünftes kann ich: fliegt ein Pfeil gefährdend
    Übers Heer daher,
    Wie hurtig er fliege, ich mag ihn hemmen,
    Erschau ich ihn nur mit der Sehe.
  6. Ein sechstes kann ich, so wer mich versehrt
    Mit harter Wurzel des Holzes:
    Den andern allein, der mir es antut,
    Verzehrt der Zauber, ich bleibe frei.
  7. Ein siebentes weiß ich, wenn hoch der Saal steht
    Über den Leuten in Lohe,
    Wie breit sie schon brenne, ich berge sie noch:
    Den Zauber weiß ich zu zaubern.
  8. Ein achtes weiß ich, das allen wäre
    Nützlich und nötig:
    Wo unter Helden Hader entbrennt,
    Da mag ich schnell ihn schlichten.
  9. Ein neuntes weiß ich, wenn Not mir ist
    Vor der Flut das Fahrzeug zu bergen,
    So wend ich den Wind von den Wogen ab
    Und beschwichtge rings die See.
  10. Ein zehntes kann ich, wenn Zaunreiterinnen
    Durch die Lüfte lenken,
    So wirk ich so, daß sie wirre zerstäuben
    Und als Gespenster schwinden.
  11. Ein elftes kann ich, wenn ich zum Angriff soll
    Die treuen Freunde führen,
    In den Schild fing ich's, so ziehn sie siegreich
    Heil in den Kampf, heil aus dem Kampf,
    Bleiben heil wohin sie ziehn.
  12. Ein zwölftes kann ich, wo am Zweige hängt
    Vom Strang erstickt ein Toter,
    Wie ich ritze das Runenzeichen,
    So kommt der Mann und spricht mit mir.
  13. Ein dreizehntes kann ich, soll ich ein Degenkind
    In die Taufe tauchen,
    So mag er nicht fallen im Volksgefecht,
    Kein Schwert mag ihn versehren.
  14. Ein vierzehntes kann ich, soll ich dem Volke
    Der Götter Namen nennen,
    Asen und Alfen kenn ich allzumal;
    Wenige sind so weise.
  15. Ein fünfzehntes kann ich, das Volkrörir der Zwerg
    Vor Dellings Schwelle sang:
    Den Asen Stärke, den Alfen Gedeihn,
    Hohe Weisheit dem Hroptatyr.
  16. Ein sechzehntes kann ich, will ich schöner Maid
    In Lieb und Lust mich freuen,
    Den Willen wandl ich der Weißarmigen,
    Daß ganz ihr Sinn sich mir gesellt.
  17. Ein siebzehntes kann ich, daß schwerlich wieder
    Die holde Maid mich meidet.
    Dieser Lieder, magst du, Loddfafnir,
    Lange ledig bleiben.
    Doch wohl dir, weißt du sie,
    Heil dir, behältst du sie,
    Selig, singst du sie!
  18. Ein achtzehntes weiß ich, das ich aber nicht singe
    Vor Maid noch Mannesweibe
    Als allein vor ihr, die mich umarmt,
    Oder sei es, meiner Schwester.
    Besser ist was einer nur weiß;
    So frommt das Lied mir lange.
  19. Des Hohen Lied ist gesungen
    In des Hohen Halle,
    Den Erdensöhnen not, unnütz den Riesensöhnen.
    Wohl ihm, der es kann, wohl ihm, der es kennt,
    Lange lebt, der es erlernt,
    Heil allen, die es hören.